Lammfleisch neu entdeckt - Ein Hoch auf Slow Food und langsame Garmethoden

07. Oktober 2020

Anna Pearson, Köchin und Autorin, hat sich zum Ende der Alpsaison mit Lammfleisch beschäftigt. Sie zeigt, wie Lammfleisch schmackhaft und abwechslungsreich zubereitet werden kann. Denn jetzt wird es wieder Zeit für Eintöpfe oder Braten. Und gerade dafür sind auch weniger populäre Stücke vom Vorderviertel geeignet.

Ein Plädoyer für die Lammschulter, langsame Garmethoden und vom Orient inspirierte Lammgerichte.



Lammfleisch – ganze Verwertung, mehr Regionalität

Bei keinem anderen Tier ist der Import-Anteil so hoch wie beim Lamm: Mehr als 60% unseres Bedarfs wird durch Fleisch aus Australien, Neuseeland und Irland gedeckt – und das, obwohl es in der Schweiz eigentlich viele Schafe gibt. Der Grund? Beim Lamm essen wir noch mehr als bei anderen Tieren fast nur die «edlen» Stücke: Nierstück, Koteletts, ab und zu mal einen Gigot. Diese Stücke machen aber nur einen kleinen Teil des ganzen Tieres aus. Um die hohe Nachfrage nach Edelstücken decken zu können, werden diese also importiert – anstatt einfach den Rest vom Lamm ebenfalls zu essen. Denn natürlich schmecken beim Lamm (ebenso wie bei allen anderen Tieren) auch die Stücke, die nicht so populär und erst noch günstiger sind. Also jene aus dem Vorderviertel: Schulter, Hals, Brust, Rippen. Diese Stücke brauchen einfach etwas mehr Zeit, um schön weich und saftig zu werden. Schulter & Co. eignen sich also perfekt für alles, das mehr oder weniger sich selbst überlassen im Schmortopf oder Ofen garen kann wie Eintöpfe und Braten – meiner Meinung nach sowieso die interessanteren Zubereitungs-Methoden!

Langes und langsames Garen

Eine orientalische Lamm-Tajine mit Pflaumen, ein sardisches «ragù d’agnello» mit Tomaten, Oliven und Kräutern oder eine langsam gegarte ganze Lammschulter am Knochen, deren Fleisch man zum Servieren einfach in grobe Stücke zupft: damit kann man mich in echte Begeisterung versetzen, gerade jetzt, wo es kälter wird. Welch wunderbare Aromen und Konsistenzen durch das lange und langsame Garen entstehen! Die würzigen Düfte, die sich nach und nach in der Wohnung verbreiten! Und habe ich schon erwähnt, dass ein Eintopf beim erneuten Aufwärmen nochmals besser wird? Ein Hoch auf all die Stücke und Garmethoden, die ein bisschen mehr Geduld verlangen, uns dann aber mit so selig machenden Resultaten belohnen! (Natürlich warten dann auch noch alle Innereien darauf, ebenfalls verwendet zu werden: Zunge, Leber, Herz, Nierli…)

Inspiration für Lammfleisch Rezepte

Gute Inspiration finden wir, wenn wir in die Kochtöpfe der Menschen schauen, in deren Kultur traditionell viel Lamm- oder auch Hammel- bzw. Schaffleisch gegessen wird und die dabei selbstverständlich das ganze Tier verwerten. Manchmal tatsächlich das ganze am Stück, zum Beispiel am Drehspiess über dem Feuer gegart oder in einem speziellen Ofen, in dem man gleich mehrere Lämmer senkrecht nebeneinander aufgestellt braten kann. «Mechoui» heisst ein solches im Ganzen zubereitetes Lamm, das im nordafrikanischen und mediterranen Raum traditionell an grossen Festen aufgetischt wird, etwa anlässlich des islamischen Opferfestes oder auch zu Hochzeiten und Geburtstagen. Wer einen Garten hat, kann dort auch ein grosses Loch graben und ein ganzes Lamm in der Feuergrube garen – ich habe es bisher nicht ausprobiert, doch die kurze Online-Recherche dazu macht Lust, es einmal zu versuchen…


Lammschulter im Ofen zubereiten

Auch ohne riesige Familienfeste oder zum unterirdischen Ofen umgegrabenen Garten kann man ein wunderbares «Pièce de résistance» vom Lamm zubereiten: eine ganze Schulter, die bei niedriger Temperatur über mehrere Stunden im Ofen gegart wird, bis das Fleisch fast vom Knochen fällt. Meine Metzgerin des Vertrauens, Marlene Halter von der Metzg in Zürich, hat für mich eine Schulter vom Schweizer Lamm organisiert und mir den Tipp für die schonende Garmethode im Ofen gegeben.

Lamm und orientalische Küche

Und weil für mich Lamm und die orientalische Küche oft Hand in Hand gehen, habe ich die Lammschulter für mein Rezept mit selbstgemachter Harissa-Paste mariniert und mit passenden Beilagen serviert: mit im Ofen mitgebratenen Rüebli und roten Zwiebeln, Bulgur mit viel frischen Kräutern, gerösteten Pinienkernen und Granatapfelkernen und dazu Harissa-Joghurt. Viel zu tun gibt das Ganze nicht, man muss die Sache nur gut planen: das Fleisch muss wahrscheinlich vorbestellt werden, zwei Tage im Voraus wird es mit Harissa eingerieben, ein paar Stunden vor dem Servieren muss es in den Ofen. Die Geduld wird mit Aromen und einer Konsistenz belohnt, die jedes Nierstück etwas belanglos erscheinen lassen!

Rezept:

Ganze Bio-Lammschulter aus dem Ofen mit Harissa

Ich mariniere das Fleisch mit selbstgemachtem Harissa, dieses gibt fast mehr zu tun, als die Lammschulter selbst – doch der Aufwand lohnt sich! Natürlich kann man auch gekauftes Harissa verwenden, ich empfehle, dieses mit etwas zusätzlichen, im Mörser fein gemahlenen gerösteten Koriander- und Kreuzkümmelsamen aufzuwerten. Zum Lamm und dem mitgegarten Gemüse serviere ich Bulgur, den ich mit etwas Harissa, Olivenöl und Zitronensaft abschmecke und mit Granatapfelkernen, gerösteteten Pinienkernen und frischen Kräutern – Peterli, Koriander und Minze – mische. Das schmeckt warm ebenso gut wie kalt. Als Sauce mit etwas Harissa gemischtes und mit Salz abgeschmecktes griechisches Joghurt dazu servieren. Allfällige Fleischresten kann man übrigens in feine Stücke zupfen und in etwas Olivenöl kurz scharf anbraten, das schmeckt gleich nochmals so gut!

Zutaten

1 Lammschulter am Knochen
2 Knoblauchzehen
2 TL Salz
4 EL Harissa (Rezept siehe unten)
1 EL Olivenöl
2 Rosmarinzweige
einige Rüebli
einige rote Zwiebeln

Zubereitung

Den Knoblauch mit dem Salz im Mörser zu einer Pasta verreiben und mit Harissa und Olivenöl mischen. Die Lammschulter rundherum damit einreiben. Zwei Tage zugedeckt im Kühlschrank marinieren. Am dritten Tag das Fleisch aus dem Kühlschrank nehmen und während zwei Stunden Raumtemperatur annehmen lassen.
Zur Planung: die Garzeit beträgt ca. 6 bis 8 Stunden, wobei diese von der Grösse der Schulter, von der Fleischqualität und der effektiven Ofentemperatur abhängt. Damit der Braten rechtzeitig fertig ist, besser grosszügig Zeit einplanen. Ist das Fleisch dann früher fertig als erwartet, kann es bis zum Servieren problemlos im 100°C heissen Ofen warmgehalten werden.
Den Ofen auf 140°C vorheizen.
Ein Blech mit Backpapier belegen, die Rosmarinzweige darauf legen und die Schulter auf diese legen. In den Ofen schieben. Das Fleisch alle zwei Stunden wenden und die Fleischoberseite ab und zu mit dem heruntergetropften Fett und Säften bepinseln. Sollte das Fleisch gegen Ende der Garzeit zu dunkel werden, ein Stück Alufolie darüberlegen.
Rüebli halbieren, Zwiebeln schälen und halbieren. Das Gemüse neben das Fleisch aufs Blech legen, salzen und etwa zwei Stunden mitgaren, bis es gabelzart und leicht gebräunt ist, nach einer Stunde einmal wenden. Wenn das Gemüse vor dem Fleisch fertig ist, vom Blech nehmen und zum Servieren noch einmal im Ofen aufwärmen.
Das Fleisch ist fertig, wenn es sich von selbst vom Knochen zu lösen beginnt und sich eine Fleischgabel ohne Widerstand hineinstechen lässt – es muss so weich sein, dass man es mit zwei Gabeln in Stücke zerteilen kann.

Harissa

250 g lange rote Chilischoten
1 rote Peperoni
4 TL Koriandersamen
4 TL Kreuzkümmelsamen
4 Knoblauchzehen
1 EL Tomatenpüree
1 EL Rotweinessig
2 TL süsser, geräucherter Paprika (Pimenton)
2 TL brauner Zucker
6 EL Olivenöl
Salz, Pfeffer

Es empfiehlt sich, Gummihandschuhe zu tragen, wenn man die Chilis vorbereitet: Die Schoten längs halbieren und mit einem Löffel die Kerne herauskratzen, die Schoten grob in Stücke hacken. Die Peperoni im auf maximale Oberhitze vorgeheizten Ofen auf einem Blech unter den Grillrost legen und etwa 20 Minuten grillen, bis sie auf allen Seiten schwarze Blasen wirft – dafür die Peperoni regelmässig wenden. Die in einer zugedeckten Schüssel etwas abgekühlte Peperoni schälen und von Stiel und Kernen befreien. Die Koriander- und Kreuzkümmelsamen in einer Bratpfanne bei niedriger Hitze leicht rösten, bis sie duften, dann im Mörser fein zermahlen. Den Knoblauch grob hacken. Alles in einen Cutter geben. Tomatenpüree, Rotweinessig, Paprika, braunen Zucker und Olivenöl zugeben und alle Zutaten zu einer feinen Paste mixen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. In sterilisierte Gläser abgefüllt und mit Olivenöl bedeckt, hält sich das Harissa im Kühlschrank einige Wochen.
Text, Rezept und Fotos der Gerichte: Anna Pearson

Zur Person



Anna Pearson ist Köchin, Autorin und Designerin. Sie ist Mitglied der Organisation Slow Food und orientiert sich beim Kochen, Einkaufen und Schreiben an deren Grundsatz«Gut, sauber und fair».Mit ihrem Verlag Edition Gut vertreibt Anna Pearson ihre beiden Kochbücher «zu Tisch.» und «Pasta», verschiedene Küchenhelfer und bietet Pastakurse an. Für ihr neues Kochbuch widmet sie sich dem Thema Fleisch.
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