«Was wir machen, ist Wissenschaft»

30. September 2019


Eine pilzwiderstandsfähige Rebsorte zu züchten, schafft der Schweizer Pionier Valentin Blattner in nur zwei Jahren. Ob es daraus je Wein gibt, entscheiden aber die Winzer – und der Staat.

Sie züchten seit 35 Jahren Piwi-Reben. Wenn Sie heute eine neue Sorte entwickeln, wo fangen Sie da an?

Valentin Blattner: Mit den Rebstöcken im Feld. Zuerst schauen wir, welche Pflanzen gute Resistenzen zeigen, sei es gegen den Echten oder Falschen Mehltau, Schwarzfäulnis, Schwarzflecken und so weiter. Um Ergebnisse zu erzielen, werden die Reben künstlich kontaminiert. Darum ist mein Weingut auch etwas ab vom Schuss. So können Pilzsporen nicht in die Rebberge anderer Winzer hineingetragen werden.

Was passiert mit Pflanzen, die Sie für gut befinden?

Wir untersuchen ihre Widerstandsfähigkeit auf genetischer Ebene. Die gefundenen Gene gleichen wir mit einer Liste bekannter Resistenzgene ab. Finden wir nun Gene, die wir bereits kennen, ist das zwar toll, aber viel interessanter ist es, wenn wir nichts finden. Dann gilt es zu erforschen, welche anderen Gene dieser Pflanze für ihre Widerstandsfähigkeit verantwortlich sein könnten. Überhaupt ist die Suche nach neuen Genen spannend. Das nennt sich Wissenschaft. Wer dagegen nur mithilfe bekannter Resistenzgene züchtet, und das machen einige, der betreibt schlicht Repetition.


Sollte eine Pflanze mehrere Resistenzgene aufweisen?

Idealerweise schon. Der Pilz ist ja nicht blöd. Der entwickelt sich weiter und passt sich an. Ein einziges Resistenzgen kann er innerhalb weniger Jahre überwinden. Deshalb sollte eine Rebe über eine Kombination mehrerer Resistenzgene verfügen. Je mehr Steine wir dem Pilz in den Weg legen, desto schwieriger ist es für ihn, eine Pflanze krank zu machen.

Dafür müssen Sie Pflanzen kreuzen. Wie läuft das genau ab?

Zuerst kastrieren wir eine Rebenblüte. Das heisst, wir entfernen mit einer Pinzette die Staubbeutel und bestäuben sie mit den Pollen einer zweiten Pflanze. Damit Wind und Insekten keine anderen Pollen eintragen können, wird die Traube eingepackt. Sind die Beeren reif, waschen wir die Kerne aus. Die werden ausgesät. Es wachsen neue Rebstöcke. Auch hier schauen wir wieder, welche besonders resistent sind und untersuchen sie. Dieser Vorgang kann sich mehrmals wiederholen.

Aber irgendwann müssen Sie doch sagen: Jetzt ist gut.

Das stimmt. Haben wir eine besonders robuste Pflanze mit guten Wuchseigenschaften gefunden, schneiden wir die Knospen ab und pfropfen sie auf die Wurzeln resistenter amerikanischer Rebsorten. So haben die Nachkommen alle guten Eigenschaften ihrer Mutterpflanze und können in den Rebberg.

Das alles tönt nach sehr viel Arbeit. Wer unterstützt Sie?

Ich arbeite mit anderen Züchtern zusammen. Am wichtigsten sind aber die Rebschulisten und Winzer, die diese neuen Sorten anbauen, vermehren und vinifizieren. Am Ende entscheiden sie, welche Reben eine Chance haben. Und natürlich die Konsumenten. Eine Sorte, die widerstandsfähig ist, aber schlecht wächst und keinen guten Wein liefert, bringt nichts.


Wie lange dauert es, bis ein neuer Wein im Regal steht?

Ich kann innerhalb von zwei Jahren eine neue Sorte entwickeln. Das scheint kurz, aber dahinter stecken 35 Jahre Zucht- und Forschungsarbeit mit Hunderttausenden von Pflanzen. Die Versuchsphase bei den Winzern dauert fünf Jahre. Dann kommen der Staat und die Bürokratie. Das kann bis zu 20 Jahre dauern. Auch bekommen wir für unsere neuen Sorten das AOC-Label nicht so schnell und einfach. Die geschützte Herkunftsbezeichnung ist primär traditionellen Sorten wie Pinot noir und Chasselas vorbehalten, obschon diese mit viel Gift gespritzt werden müssen. Ganz im Gegensatz zu unseren, die viel umweltschonender sind. Diese Diskriminierung zwingt uns, ein eigenes Label für rückstandsfreie Weine zu schaffen.


Pionier der Piwi-Zucht
Valentin Blattner züchtet und erforscht seit 1985 pilzwiderstandsfähige Rebsorten (Piwi) für den Weinbau im In- und Ausland. Er gehört zu den Pionieren der Piwi-Zucht und gilt international als Koryphäe auf dem Gebiet. Einen Teil seiner züchterischen Arbeit verrichtet der 61-jährige Winzer auf seinem acht Hektaren grossen Weingut «Domaine Blattner» im jurassischen Soyhières, wo er mit Silvia Blattner unter anderem die bekannte Sorte Cabernet Jura entwickelt hat. Daneben führt er Zuchtprogramme in Spanien, Deutschland, Frankreich, Kanada und Thailand, wo er zum Teil mit tropischen Rebsorten arbeitet.



Interview: René Schulte

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