Gut Fleisch will Weile haben

07. November 2022

Heute muss alles schnell gehen, auch beim Fleisch: Tiere sollen möglichst schnell möglichst gross werden, ihr Fleisch möglichst schnell zubereitet sein. Dabei gibt es viele Gründe, es genau umgekehrt anzugehen und nicht nur den Tieren, sondern auch den aus ihrem Fleisch zubereiteten Speisen viel Zeit zu geben. Ein Besuch bei Nina Hitz, Bio-Rindfleisch-Produzentin auf 1230 Metern im Bündner Churwaldner Tal, die ihren Kühen und Rindern für alles ein bisschen mehr Zeit gibt.

Nina Hitz möchte den Rindern ein würdevolles Leben ermöglichen.
(Thomas Hablützel)

Nina Hitz möchte ihren Rindern zwei Sommer auf der Alp ermöglichen, wo den Tieren 150 Hektaren Weideland zur Verfügung stehen: «Dieses Gefühl von Frei-Sein – das sollen meine Tiere erleben dürfen. Während sie hier sind, sollen sie es wunderschön haben und mit Anstand, Würde und Respekt behandelt werden.» Um Würde geht es Nina Hitz auch bei der Frage nach dem Zeitpunkt, zu dem ihre Tiere geschlachtet werden. Sei es bei den Rindern, deren Fleisch sie als Frischfleisch vermarktet oder bei den alten Mutterkühen, deren Fleisch zu Bündner Trockenfleisch-Spezialitäten und Würsten verarbeitet wird. Ein Tier müsse «reif» sein, wenn es geschlachtet werde – und dies dauert bei ihr deutlich länger als üblich.

Mageres Futter und viel Bewegung in den Bergen

Die spätere Schlachtreife hat einerseits mit der Lage ihres Hofs im Berggebiet zu tun: die Wiesen sind magerer als im Mittelland, das Futter der Rinder somit weniger energiereich. Die Tiere wachsen deshalb langsamer und entsprechend dauert es länger, bis sie ausgewachsen und schlachtreif sind. Auch die viele Bewegung führt dazu, dass die Rinder weniger schnell Fett und Muskeln ansetzen als ihre Artgenossen, die ihr Leben im Stall verbringen.

Nina Hitz und ein Wagyu-Rind

Wagyu – eine Rasse, die Zeit braucht

Der zweite Grund, warum Nina Hitz ihre Rinder später als üblich schlachtet, hat mit deren Rasse zu tun: Die Bio-Landwirtin züchtet Wagyu-Rinder. Das Fleisch dieser aus Japan stammenden Rasse zeichnet sich durch seinen hohen intramuskulären Fett-Anteil aus, der das Fleisch besonders saftig und aromatisch macht. Die feinen Fett-Verästelungen in den Muskeln, wegen derer das Wagyu-Fleisch so begehrt ist, bilden sich überhaupt erst ab einem Alter von 2 Jahren – es wäre deshalb widersinnig, die Rinder schon im bei anderen Rassen üblichen Alter von 10 bis 15 Monaten zu schlachten. Nina Hitz’ Tiere leben im Schnitt fast drei Jahre lang.

 

Würde sie ihnen nebst Gras und Heu auch Kraftfutter füttern, ginge alles ein bisschen schneller. Aber darum geht es Nina Hitz gerade nicht: «Ich bin überzeugt, das alles, was wir brauchen, bei uns vor der Haustüre wächst – meine Aufgabe ist es, daraus das beste zu machen.» Dass Gras und Heu das beste Fleisch ergibt, ist heute auch wissenschaftlich belegt: es enthält mehr wertvolle Omega-3-Fettsäuren als Fleisch von mit Kraftfutter gefütterten Tieren, ausserdem verliert es beim Kochen weniger Wasser.

Für Nina Hitz ist eine gute Kuh auch eine treue Arbeitskraft.
(Thomas Hablützel)

Weise alte Kühe

Von den Tieren könnten wir Menschen viel lernen: «Sie wissen und können viel mehr, als wir denken!» Nina Hitz erzählt von der Weisheit und dem Wert alter, erfahrener Kühe in einer Herde: «Eine gute Kuh, also eine, die gesund ist, jedes Jahr ein Kalb gebärt und einen guten Charakter hat, ist für mich eine treue Arbeitskraft. Sie kennt die Abläufe auf dem Betrieb, die Wege auf der Alp – das ist sehr wertvoll und macht alles einfacher.» Für sie gebe es keinen Grund, eine alte Kuh schlachten zu lassen, solange sie gesund sei. Und so ist die Herde von Nina Hitz überdurchschnittlich alt, die älteste Kuh ist sechzehn – auch, weil es ihr schwer falle, sich von einer Mutterkuh zu trennen. Auch die Tiere untereinander zu trennen könne problematisch sein, diese pflegten teilweise enge Freundschaften. Nina Hitz erzählt, wie sie vor Jahren einmal eine Kuh verkauft habe, welche die beste Freundin einer anderen Kuh war. Die zurückgebliebene Kuh sei seither nicht mehr die gleiche. Sie bereue ihre Entscheidung bis heute.

Eine gute Kuh, also eine, die gesund ist, jedes Jahr ein Kalb gebärt und einen guten Charakter hat, ist für mich eine treue Arbeitskraft. 
NIna Hitz, Bio-Rindfleisch-Produzentin

In Würde sterben

Hingegen habe sie auch einmal eine alte Kuh geschlachtet, weil diese von der übrigen Herde aufgrund ihrer Schwäche regelrecht gemobbt worden war. Sie zu schlachten, sei in diesem Fall die beste Lösung gewesen: «Sterben ist nicht das Schlimmste, was uns im Leben passieren kann. Tiere leben im Hier und Jetzt, sie denken nicht an morgen. Wir Menschen sind diejenigen, die nicht loslassen können. Die Idee, dass der Tod etwas Schlimmes sei, das ist unsere Wirklichkeit, nicht jene der Tiere. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass meine Tiere, solange sie hier sind, das bestmögliche Leben haben.» Auch das Sterben selbst soll in Würde geschehen: Nina Hitz lässt ihre Rinder heute im nahegelegenen Schlachthof in Zizers schlachten, ebenso die alten Kühe, wenn sie sich dann doch einmal von einer trennen muss.

Am liebsten würde sie ihre Tiere in Zukunft auf dem Hof selbst schlachten lassen. Die alten Kühe wie sonst üblich «in den Kanal zu geben», also an einen Viehhändler zu verkaufen, der die Tiere im weiter entfernten Grossschlachthof schlachten lässt, von wo aus ihr Fleisch dann schliesslich in den Burgern irgendeiner Fastfood-Kette landet – das kommt für Nina Hitz nicht in Frage. Stattdessen lässt sie das Fleisch der alten Kühe nach traditionellem Rezept zu Hauswürsten und Trockenfleisch-Spezialitäten wie Salsiz oder Mostbröckli veredeln. Wie früher trocknen diese im Wind des zugigen Churwaldner Tals – auch dies braucht seine Zeit.

Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass meine Tiere, solange sie hier sind, das bestmögliche Leben haben.
Nina Hitz, Bio-Rindfleisch-Produzentin

«Low and Slow» – Geduld beim Kochen

Zeit ist schliesslich auch in der Küche bei der Zubereitung des frischen Rindfleischs gefragt. Natürlich bietet ein Rind einige Edelstücke wie das Filet oder Entrecôte, die auf dem Grill oder in der Bratpfanne schnell zubereitet sind – diese Stücke, die aus den wenig beanspruchten Muskelpartien im Rücken stammen, machen jedoch nur einen kleinen Teil eines Tieres aus.

Der überwiegende Fleisch-Anteil eines Rindes, zum Beispiel die verschiedenen Stücke aus der Schulter, eignet sich hingegen für schonende, langsame Zubereitungs-Methoden bei tiefen Temperaturen wie zum Beispiel Schmoren. Der Grund, warum diese Stücke mehr Zeit benötigen, liegt in der Struktur des Fleisches der jeweiligen Muskelpartien. Die Schulter eines Tieres ist dauernd in Bewegung, deshalb sind die Fleischfasern länger und fester und auch das Bindegewebe, das die verschiedenen Muskeln zusammenhält und diese in Form von Sehnen mit dem Skelett verbindet, ist entsprechend fest. Um solche Fleischstücke geniessen zu können, muss man sie lange genug sanft garen: irgendwann sind sie so weich, dass man sie mit einem Löffel zerteilen kann.

Brasato al vino rosso auf einem Teller
(Anna Pearson)

Damit das Fleisch schön saftig bleibt, ist eine tiefe Temperatur wichtig, die Schmorflüssigkeit soll nie kochen. Durch das Garen in einer aromatischen Flüssigkeit erhält man nach ein paar Stunden nicht nur schön weiches und saftiges, sondern auch wunderbar würziges Fleisch.

Für ein noch mürberes Ergebnis kann man das Fleisch vor dem Schmoren zusätzlich beizen – für einen klassischen «Brasato al vino rosso» etwa legt man ein Bratenstück (z.B. von der Schulter oder eine entbeinte, gebundene Haxe) für 24 Stunden in guten Rotwein. Die Säure des Weins setzt einen Prozess in Gang, der das Fleisch noch weicher werden lässt, ausserdem erhält es ein feines, leicht säuerliches Rotwein-Aroma. Ein Brasato ist also ein mehrstündiges bis mehrtägiges Ereignis, das allerdings nur wenig aktive Arbeit verlangt: Das Beizen und Schmoren passiert schliesslich von alleine.

Zur Planung: Das Fleisch liegt 24 Stunden in der Beize, kommt 6 Stunden vor dem Essen aus dem Kühlschrank und wird 2 Stunden auf Raumtemperatur gebracht, bevor der Braten etwa 3 Stunden lang schmort und in 1 Stunde zusammen mit den Beilagen fertiggestellt wird. Man beginnt also etwa 30 Stunden vor dem Essen mit der Zubereitung. Der Brasato kann auch bestens vorbereitet und kurz vor dem Servieren nochmals aufgewärmt werden.

Zutaten:

  • ca. 1.5 kg Schulterbraten, gebunden
  • 1-2 Zwiebeln
  • 1 Rüebli
  • 2 Selleriestangen
  • 2 Knoblauchzehen
  • 2 Wacholderbeeren
  • 10 schwarze Pfefferkörner
  • 1/2 Rosmarinzweig
  • einige Thymianzweige
  • 2 Lorbeerblätter
  • 2 ELTomatenpüree
  • 1 Flasche Rotwein, z.B. Merlot
  • 2 dl guter Hühnerfond (oder Wasser)

Das Fleisch in einen Behälter legen. Die Zwiebel, das Rüebli und den Knoblauch schälen und zusammen mit dem Sellerie in 1-2 cm grosse Stücke schneiden. Danach zum Fleisch in den Behälter geben. Die Gewürze und Kräuter ebenfalls zugeben, dann den Wein darüber giessen. Das Fleisch sollte davon bedeckt sein, wenn nötig alles in ein kleineres Gefäss umfüllen. Den zugedeckten Behälter für 24 Stunden in den Kühlschrank stellen. Sollte das Fleisch nicht ganz vom Wein bedeckt sein, den Braten in der Halbzeit einmal wenden, 6 Stunden vor dem Essen den Behälter aus dem Kühlschrank nehmen und während 2 Stunden Raumtemperatur annehmen lassen. Den Ofen auf 120°C vorheizen. Das Fleisch aus der Flüssigkeit nehmen und trockentupfen. Den Rest durch ein Sieb in einen zweiten Behälter abgiessen, das Gemüse im Sieb abtropfen lassen.

Eine Bratpfanne erhitzen, etwas Bratfett zugeben und das Fleisch rundherum anbraten, sodass es schön gebräunt ist. In einem Bräter etwas Olivenöl erhitzen und das Gemüse mit den Kräutern und Gewürzen einige Minuten darin anbraten, sodass es ebenfalls Farbe annimmt. Das Tomatenpüree zugeben und mit dem Gemüse mischen, kurz anrösten. Das Fleisch zum Gemüse geben. Etwas Wein in die Bratpfanne giessen, den Bratensatz lösen und in den Schmortopf geben. Den restlichen Wein und den Hühnerfond in den Topf giessen, alles leicht salzen. Bei mittlerer Hitze bis kurz vor den Siedepunkt erhitzen, dann den Topf zugedeckt in den Ofen stellen.

Das Fleisch ca. 3 Stunden schmoren, dabei soll die Flüssigkeit nie kochen. Wer ein Thermometer hat: die Temperatur der Flüssigkeit sollte nicht viel mehr als 90°C betragen. Die Temperatur im Topf steigt mit der Zeit, dann die Ofentemperatur auf ca. 90°C reduzieren. Das Fleisch ab und zu wenden. Wenn das Fleisch weich geschmort ist (es rutscht von selbst von einer hineingesteckten Fleischgabel), den Topf aus dem Ofen nehmen. Das Fleisch aus der Flüssigkeit nehmen. Die Flüssigkeit durch ein Sieb in einen zweiten Behälter abgiessen, das Gemüse im Sieb etwas abtropfen lassen. Etwa einen Drittel des Gemüses zur Flüssigkeit geben und alles feinstmöglich pürieren.

Die Flüssigkeit auf dem Herd bei starker Hitze zu einer aromatischen, nur ganz leicht eingedickten Sauce einkochen – am Schluss sollten etwa 4 dl Sauce übrig bleiben. Mit Salz abschmecken. Das Fleisch in 1.5 cm dicke Scheiben schneiden und diese in die heisse Flüssigkeit legen. Das Fleisch einige Minuten auf der nur warmen Herdplatte zugedeckt in der Sauce ziehen lassen, sodass es heiss wird und sich mit Sauce vollsaugen kann. Auch jetzt sollte es dabei nicht kochen.

Den Brasato mit einer Beilage nach Wahl, z.B. mit Kartoffel-Knollensellerie-Stock mit Petersilie oder Polenta servieren. Tipp: Serviert man den Braten erst am nächsten Tag, lässt man ihn vollständig in der Flüssigkeit abkühlen, nimmt ihn dann heraus, bereitet wie oben beschrieben die Sauce zu und bewahrt beides getrennt bis zum Servieren im Kühlschrank auf. Kurz vor dem Servieren erhitzt man die Sauce, schneidet den Braten in Scheiben und erwärmt das Fleisch wie beschrieben.

Text: Anna Pearson

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