Alle Küken sollen leben: Bio Suisse sagt Nein zum Kükentöten

01. Dezember 2021

Das Kükentöten in der Eierproduktion ist uns als Bio-Verband der Schweiz ein Dorn im Auge. Männliche Küken werden nach dem Schlüpfen mit Gas eingeschläfert. Bio Suisse fällt nun den Grundsatzentscheid zur Abkehr von dieser unethischen Praxis. Im Gespräch ist Adrian Schlageter, Projektleiter Tierwohl bei Bio Suisse. Er beleuchtet das Thema und erklärt die Hintergründe.

Adrian Schlageter, wieso werden Küken in der Eierproduktion überhaupt getötet?

Das Kükentöten ist ein weltweites Problem. Der Ursprung hängt mit dem Züchtungsfortschritt und den Leistungsrassen zusammen: Man hat entweder Masthühner für die Fleischproduktion oder Legehennen für die Eierproduktion. Also Legehybride oder Masthybride, beide Tiere haben unterschiedliche Merkmale und Ausprägungen, sie sind auf die Produktion und Leistung ihres Gebiets spezialisiert.

Die Masttiere setzen rasch viel Fleisch an, dabei werden männliche und weibliche Tiere genutzt. Bei der Eierproduktion ist es anders: Sie setzen nicht so viel Fleisch an, dafür legen sie sehr viele Eier. Ein weibliches Tier legt über 300 Eier pro Jahr. Die männlichen Tiere hingegen können weder Eier legen noch Fleisch ansetzen. Für die Landwirte ist es unwirtschaftlich, die männlichen Tiere aufzuziehen. Deshalb werden die männlichen Küken gleich nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet. Die Wirtschaftlichkeit und Öko-Effizienz haben leider zur Praxis des Kükentötens geführt.

Wie kann das Kükentöten in der Eierproduktion verhindert werden?

Es gibt generell zwei Richtungen, um das Kükentöten zu vermeiden: Bereits geschlüpfte Küken sollen aufgezogen werden, oder man verhindert das Schlüpfen von männlichen Küken komplett. Dazu ist ein sogenanntes In-Ovo-Verfahren notwendig. Dabei wird im Ei eine Früherkennung des Geschlechts vorgenommen. Es wird intensiv an diversen Verfahren geforscht. Diese reichen beispielsweise von Endokrinologie, also der Unterscheidung zw. männlichen und weiblichen Hühnerembryonen mittels Messung der Geschlechtshormone, über Spektroskopie, also z.B. der Messung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Federpigmentierung bis hin zu gentechnischen Methoden. Die bislang verfügbaren Technologien setzen zu einem Zeitpunkt der Embryonalentwicklung an, wo Schmerzempfinden gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen bereits möglich ist. Da haben wir also letztlich ein ähnlich gelagertes Problem wie beim Töten der Küken kurz nach dem Schlüpfen.

Adrian Schlageter, Projektleiter Tierwohl bei Bio Suisse

Ein Ziel von Bio Suisse ist es, eine Vorreiterrolle im Bereich Tierwohl einzunehmen. Welche Haltung hat Bio Suisse gegenüber dem Kükentöten?

Das Töten der männlichen Küken entspricht nicht der Wertschätzung der Tiere, die wir uns wünschen. Deshalb sind wir als Bio-Verband der Schweiz mit Hochdruck daran, an dieser Situation etwas zu ändern. Ein erster Meilenstein ist nun gesetzt: Unsere Delegierten haben einen breit abgestützten Ausstiegsplan verabschiedet. Dessen Kernaussage ist: «Alle Küken sollen leben». Damit sagen wir Nein zu In-Ovo und Ja zur Aufzucht der Küken.

Wie sieht der Ausstiegsplan konkret aus? Welche Ansätze werden verfolgt und von welchem Zeithorizont sprechen wir?

Ziel ist es, dass bis Ende 2025 keine Küken mehr getötet werden. Bio Suisse setzt dabei auf das Zweinutzungshuhn. Wir wollen weg von den Hochleistungstieren und den Kreis zwischen Pouletmast und Eierproduktion schliessen. Über Jahrzehnte des Zuchtfortschritts haben sich diese beiden Produktionszweige komplett voneinander entfernt. Das wollen wir ändern und wir sind überzeugt, dass dieser Weg zur Knospe passt. Wir sprechen hier wirklich von einem Systemwechsel, der die enge Zusammenrabeit der ganzen Bio-Branche erforderlich macht.

Mit dieser Lösung soll möglichst mit bestehenden Ställen weitergearbeitet werden. Mit der Ausrichtung aufs Zweinutzungshuhn ist dies besser realisierbar als mit der Bruderhahnmast. Aber auch die Bruderhahnaufzucht wird weiterhin möglich sein.

Was ist der Unterschied von der Bruderhahnaufzucht zum Zweitnutzungshuhn?

Dabei handelt es sich um unterschiedliche Züchtungen. Das Zweitnutzungshuhn ist eine Art Kompromiss. Die Hähne setzen etwas mehr Fleisch an, die Hennen sind aber dafür nicht ganz so produktiv und legen entsprechend weniger Eier.

Bei der Bruderhahnaufzucht werden die männlichen Küken der leistungsstarken Legehennen aufgezogen. Diese Aufzucht ist, wie erwähnt, ressourcenintensiv und muss über die Eier quersubventioniert werden. Eine grosse Herausforderung stellt zudem die Entwicklung und Positionierung von Produkten aus Bruderhahn-Fleisch dar. Das Fleisch von Bruderhähnen unterscheidet sich von Pouletfleisch in Bezug auf Textur und Geschmack. Ziel muss es sein, Produkte aus Bruderhahn-Fleisch als Premium zu positionieren. Ein gesicherter Absatz ist zentral, damit Bio-Landwirte in eine Bruderhahnaufzucht einsteigen. Ein Beispiel kann die Gemeinschaftsgastronomie sein. Ein positives Beispiel ist das Kantonsspital Graubünden. Wir streben aber auch Lösungen mit dem Detailhandel an.

Wenn man als Konsument oder Konsumentin das «Küken töten» schon heute nicht mehr in Kauf nehmen will, was für Alternativen sind auf dem Markt?

Es gibt bereits Initiativen aus der Branche, beispielsweise das Zweinutzungshuhn von Coop oder das Label «Hahn im Glück», welches die Demeter-Eier auszeichnet und auf Bruderhahnmast basiert. Oder auch die «Respeggt»-Eier der Migros, welche auf dem zuvor beschriebenen hormonellen Selektionsverfahren im Ei basieren. Letztere sind allerdings keine Bio-Eier. Generell kann man sich erkunden, ob auch im Direktverkauf Eier von einer Zweinutzungsrasse oder aus Bruderhahnaufzucht erhältlich sind. Dies sind momentan leider nur eine Handvoll Bio-Betriebe in der Schweiz

Was ist Ihre Vision für die nächsten vier Jahre?

Bis dahin gibt es unter der Knospe klar kein Kükentöten mehr. Wir wollen dem Tier den Wert beimessen, den es aus ethischer Sicht haben soll. Das Küken hat es nicht verdient, direkt wieder zu sterben.

Wir entsprechen damit einem klaren Konsumentenbedürfnis. Mein Wunsch ist es, dass die Konsumierenden diesen ethisch konsequenten Weg mit uns gehen, die Wertschätzung gegenüber dem Tier teilen und somit die Kaufbereitschaft für das höherwertige Produkt aufbringen.

Was sollten Konsument*innen darüber hinaus noch wissen?

Der Schritt hin zu einer ethischeren Bio-Eierproduktion hat enorme Veränderungen für den gesamten Markt zur Folge. Derzeit halten rund 2'000 Biobetriebe Legehühner und ca. 150 Mastpoulets. Jede Hühnerrasse hat ihre Eigenschaften, Eigenheiten und Bedürfnisse. Der Wechsel auf ein Zweinutzungshuhn bringt somit auch seine Herausforderungen für die Biobäuerinnen und Biobauern mit sich. Natürlich entstehen auch zusätzliche Herausforderungen in der nachgelagerten Wertschöpfungskette.

Bio-Eier sind in Zukunft noch hochwertiger. Im Gegensatz zu den Hochleistungstieren legen die Zweinutzungshühner kleinere und auch etwas weniger Eier. Somit verteuert sich die Eierproduktion und das Endprodukt, das Bio Ei, wird entsprechend auch teurer. Allerdings werden künftig alle Eier teurer, auch die konventionellen, denn die gesamte Branche ist bestrebt, weg vom Kükentöten zu kommen.

Der Erfolg steht und fällt mit der Kaufbereitschaft der Konsument*innen und wir hoffen natürlich, dass auch der Konsum mitzieht, denn wir brauchen für diesen Weg die Unterstützung von allen Teilnehmern am Markt.

Zur Person

Adrian Schlageter hat an der Universität Basel in Biologie promoviert. Danach war er während einiger Jahre in der Forschung tätig, bevor er dann während rund sieben Jahren bei Coop zunächst als Brandmanager für Nachhaltigkeitslabels, als Leiter von nachhaltigen Beschaffungsprojekten und zuletzt als Produktmanager für Eier und Milchprodukte tätig war. Im April 2020 ist Adrian Schlageter als Produktmanager für Eier, Geflügel und Fisch bei Bio Suisse eingestiegen, wo er wichtige Kontakte zu den Fachgruppen knüpfen konnte. Seit Oktober 2020 ist er Projektleiter Tierwohl in der neuen Abteilung «Strategische Projekte und Forschung» bei Bio Suisse.

Interview: Maya Frommelt mit Adrian Schlageter
Bilder: Depositphotos, Archiv Bio Suisse, Depositphotos

Teilen