Seltene Kulturpflanzen und Nutztierrassen retten

30. Juni 2021

Kennen Sie die Saaser Mutte, ein heimisches Schaf mit langen Ohren? Oder den Aargauer Herrenapfel? Sortenvielfalt erfreut nicht nur Gaumen und Gemüt, sondern hilft auch bei der Erhaltung gefährdeter Kulturpflanzen und Nutztierrassen. ProSpecieRara macht Lust, unsere heimische Vielfalt zu entdecken und vor dem Aussterben zu schützen.

Als Biologe ist Philippe Ammann bei ProSpecieRara seit 2003 zuhause. Er ist für die Bereichsleitung Tiere und Vermarktung verantwortlich und gibt uns als stellvertretender Geschäftsführer einen Einblick hinter die Kulissen.

Biodiversität fördern, Rares kultivieren

Durch die Hochleistungsrassen und -sorten wurden unsere ursprünglichen, heimischen Nutztiere und Kulturpflanzen immer mehr verdrängt, denn die Landwirtschaft fordert Leistung und Ertrag. Entsprechend hochgezüchtet sind heutzutage die meisten Nutztiere und auch Obst- und Gemüsesorten. Tiere wie das Appenzeller Barthuhn, die Capra Grigia, das Rätische Grauvieh und die Saaser Mutte konnten dank dem langfristigen Engagement der Stiftung und viel Herzblut der Züchter*innen und Rassevereine bis heute überleben. «Wir haben rund 1800 Menschen und Betriebe in unserem Erhaltungsnetzwerk», so Philippe Ammann. «Einerseits werden im Netzwerk Sorten und Rassen erhalten und vermehrt. Andererseits werden Produkte aus ihnen vermarktet. Die Stiftung zeichnet dieses Engagement mit dem ProSpecieRara-Gütesiegel aus, das gleichzeitig auch ein Vermarktungslabel ist.» So vielfältig wie die Flora und Fauna sind also auch die Sortenhalter*innen und Tierzüchter*innen. Sie agieren mit viel Leidenschaft und Herzblut, ob als professionelle Produzent*innen oder private Akteure im kleineren Rahmen im Garten oder im Stall.

Bio Suisse belohnt Bio-Landwirte, die ProSpecieRara-Gemüse- und Obstsorten oder -Nutztiere halten, mit zusätzlichen Punkten im Biodiversitätscheck. Dieser Teil wird «Agrobiodiverstität» genannt, «eigentlich ein schrecklich unschönes Wort», wie Philippe Ammann lachend meint, «das aber etwas enorm Wertvolles umschreibt, nämlich die biologische Vielfalt der von der Landwirtschaft genutzten Ressourcen und somit die abwechslungsreiche Grundlage für unsere Ernährung.» Es ist also nicht nur die «wilde Biodiversität» der Insekten, Vögel, Reptilien und vielem mehr wichtig, sondern auch die domestizierte Sorten- und Rassenvielfalt. Durch Aspekte wie Klimawandel wird es sogar immer relevanter, sich breiter aufzustellen und nicht nur auf eine Rasse und Monokulturen, sondern auf die lebendige Vielfalt zu setzen. So kann man auf andere Sorten zurückgreifen oder ausweichen, falls die Ernte einer Kultur einmal nicht gut ausfallen sollte.

Über ProSpecieRara

ProSpecieRara ist eine nicht gewinnorientierte Stiftung, die das Überleben von 32 heimischen, selten gewordenen Nutztierrassen und über 4'700 Pflanzensorten ermöglicht. Eine Vielfalt, die es zu schützen gilt. Im Hauptsitz in Basel, in den schönen Merian Gärten gelegen, befindet sich die Schatztruhe von ProSpecieRara: die Samenbibliothek mit Saatgut von über 1700 seltenen Gemüse-, Acker- und Zierpflanzensorten.

 

ProSpecieRara Sortenhalter werden

Philippe Ammann erklärt: «Jede*r kann Sortenhalter*in werden. Wir bieten dafür Workshops und Kurse an, es gibt Gärtnereien und Baumschulen, die auf ProSpecieRara-Pflanzen spezialisiert sind.» Online kann man sich im Sortenfinder informieren. «Wichtig ist die Freude und das Engagement», so der Biologe. Denn man muss wissen: «Als eingetragene*r Sortenhalter*in hat man auch eine gewisse Verantwortung für «seine» Sorte(n). Wichtig ist eine gewisse Genauigkeit und Kontrolle, denn das seltene Saatgut muss rückverfolgbar sein. Darum melden alle in unserem Netzwerk mindestens einmal jährlich, ob mit ihren Sorten- und Rassen noch alles okay ist.»

Gerade beim Gemüse bringt die Erhaltung eine andere Art des Gärtnerns mit sich. Beim Samenbau erntet man nicht etwa, wenn die Zucchini essbereit sind, sondern braucht mehr Geduld und lässt einige Früchte über die Essreife hinaus reifen, bis die Samen darin ebenfalls vollständig ausgebildet sind. Denn das Ziel ist die Samenernte. «Das Gewinnen von seltenem Saatgut kann den Sortenhaltern viel Freude und Erfüllung geben. Man leistet damit einen Beitrag zur Erhaltung und Vermehrung einer gefährdeten Kultur, ein Teil der geernteten Samen wird an ProSpecieRara zurückgeschickt.» Und wie Ammann erklärt: «Einmal jährlich gibt es einen Dreschtag, wo ein Teil des Saatgutes, das in den ProSpecieRara-Gärten in Basel und Wildegg gewachsen ist, zusammen gereinigt und für die Samenbibliothek aufbereitet wird.» Ein Tag zum Lernen und Vernetzen.

Erhaltung durch Nutzen

Philippe Ammann erklärt den ProSpecieRara Grundsatz «Erhaltung durch Nutzung». «Die ganze Vielfalt der Sorten und Rassen ist überhaupt entstanden, weil wir die Tiere und Pflanzen genutzt und sie über viele Generationen nach unseren Bedürfnissen gezüchtet haben. Wollen wir sie nachhaltig erhalten, machen wir dies am besten, indem wir sie weiter nutzen. Denn dadurch entsteht eine Nachfrage, die bewirkt, dass weiter mit den alten Sorten und Rassen gearbeitet wird.» Daher kann sich jede*r für die Sortenvielfalt engagieren, auch wenn man selbst nicht seltene Pflanzen oder Tiere kultiviert. «Jede*r kann den eigenen Konsum überdenken. Was wir essen und konsumieren, bestimmt auch, was produziert wird.» Ammann betont: «Jeder hat einen Einfluss durch sein Konsumverhalten. Verlangt man nach vielfältigen Sorten und kauft lokal und saisonal ein, dann verlangt man automatisch auch nach einer lokalen Vielfalt. Das hat einen sehr direkten Einfluss auf die Erhaltung und Förderung dieser Vielfalt. Das Thema ist mir wichtig und ich würde gerne in diese Richtung sensibilisieren.»

Lokal, saisonal und nachhaltig

Vielfältig, geschmackvoll und eine Freude fürs Auge, ganz aus einheimischer Produktion: Das sind die Saison-Lieblinge von ProSpecieRara. Die Stiftung macht aktuell auf saisonale Sorten aufmerksam und bietet mit der Karte der Vielfalt ein lokales Netzwerk. Hier findet man von lokalen ProSpecieRara Produzenten*innen, Restaurants, Verarbeitungs- und Handelsbetrieben die Möglichkeit, lokal und vielfältig einzukaufen. Viele ProSpecieRara-Sorten findet man natürlich auf den ProSpecieRara-Märkten wie z.B. jeden Oktober auf dem Reutenmarkt in Zofingen. Aber auch auf den lokalen Wochenmärken oder in Hofläden lohnt es sich, nach alten Sorten und Rassen zu fragen. Ganz im Sinne von «Erhaltung durch Nutzen», Nachfrage und Interesse.

Redaktion und Bilder: Maya Frommelt und ProSpecieRara

Teilen